Schwarze Nylons, 1972, Renate Eisenegger (*1949)
Digital-Abzug auf Hahnemühle FineArt Pearl 285
40 x 30 cm, Inv. C6803
Die in Schaffhausen lebende Künstlerin Renate Eisenegger (*1949) gehört zu den grossen Unbekannten der Schaffhauser Kunstszene. Dies liegt zum einen daran, dass ihre mutmasslich wichtigste Werkphase in der ersten Hälfte der 1970er Jahre stattfand und folglich ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Zum anderen hängt es massgeblich damit zusammen, dass nur wenige Werke dieses fotografischen Hauptwerks erhalten geblieben sind. Die Künstlerin setzte sich für eine kurze, aber hochproduktive Phase Anfang der 1970er Jahre mit Geschlechterverhältnissen sowie der Rolle der Frau in der damaligen Gesellschaft auseinander. Hierfür wählte sie primär das Medium der Fotografie, arbeitete jedoch auch teilweise mit Performances und Video. Während eines Aufenthalts in den Jahren 1972/73 am Istituto Svizzero in Rom und im Anschluss daran entstanden zahlreiche Werke voller poetischer Sinnlichkeit und ungebändigter Kraft.
Ausgehend von der Darstellung ihres Körpers, zumeist des Gesichts, schuf sie intensive, metaphorisch lesbare Bilder. Die emotionale Dringlichkeit ihrer Anliegen ist darin unmittelbar spürbar. Eisenegger arbeitete hierbei häufig mit Verhüllungen ihres Gesichts, beispielsweise durch flächig aufgetragene Farbschichten oder Masken. Die beiden ausgewählten Werke «Maske II» und «Schwarze Nylons» stammen aus der ersten Phase ihrer Auseinandersetzung und fokussieren beide auf die Thematik der Maskierung.
In «Nylons» hat die Künstlerin sich einen Strumpf über den Kopf gezogen; nur ein kleines Loch legt ihr Gesicht frei. Aus dem erotisch aufgeladenen Statussymbol der Nachkriegszeit wird hier ein einengendes, atemraubendes Hindernis. Die Perspektive von unten – bekannt vom Blick auf grossformatige Denkmäler im öffentlichen Raum – führt zu einer leicht heroisierenden Perspektive und verstärkt die skulpturale Dimension des Motivs. Diese steht in Kontrast zur gewählten Bildmetapher sowie zum Blick der jungen Frau und macht das Motiv zu einer spannungsgeladenen Gesamtkonstellation.
In «Maske II» wird ein aufführungsähnlicher Aspekt in Eiseneggers Ansatz deutlich. Die vierteilige Arbeit besteht aus fast identischen Motiven, die nur durch Details voneinander abweichen und auf diese Weise eine Verbindung zur zeitgebundenen Kunstform der Performance herstellen. Die Verhüllung ihres Gesichts durch eine Maske erweckt abermals die Assoziation von Luftknappheit respektive dem Gefühl einer – auch metaphorisch lesbaren – starken Beengtheit. Verbunden ist das Motiv in diesem Fall mit Assoziationen von Gewalt, haben sich über den Kopf gezogene Plastiktüten doch auch als Foltermethode in das kollektive Bildgedächtnis eingeschrieben. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass das Motiv aus einer klassischen Porträtperspektive frontal auf Augenhöhe aufgenommen wurde. Der Blick der Künstlerin steht daher formal im Zentrum des Motivs. Die Maske verunmöglicht jedoch die direkte Kontaktaufnahme mit den Betrachterinnen und Betrachtern. Stattdessen kommt es durch die Maske zu einer Entindividualisierung der Künstlerin.
Die Kunstkritikerin und Kuratorin Gabriele Schor entdeckte Eisenegger wieder und nahm eine Auswahl ihrer Werke in die renommierte Sammlung Verbund auf, die einen Schwerpunkt auf «Feministische Avantgarde» legt. Dies führte zur erhöhten Sichtbarkeit ihres Werks, das nun in Gruppenausstellungen mit weltbekannten Avantgarde-Künstlerinnen wie Ana Mendieta, Valie Export, Cindy Sherman und Francesca Woodman zu sehen ist. Umso wichtiger erscheint es, dass mit dem Ankauf von «Schwarze Nylons» und «Maske II» zwei hochstehende Werke für die Region Schaffhausen gesichert werden konnten.
Julian Denzler, M. A.
Kurator Gegenwartskunst, Museum zu Allerheiligen
Hier finden Sie die ausführliche Beschreibung der Neuerwerbungen von Renate Eisenegger aus dem Jahresbericht 2021/2022.
Fotos: Jürg Fausch, 372dpi gmbh Schaffhausen