Félix Vallotton (1865 – 1925), Zwölf Spielkarten, 1898. Feder, Pinsel, Gouache und Aquarell auf Papier, je 21 x 13 cm (Kartenmass), Inv. S8001
Im Herbst 1898 beteiligte sich Felix Vallotton an einem Gestaltungswettbewerb für Spielkarten, veranstaltet von der Zeitschrift «L’Art décoratif». Das vom deutschen Schriftsteller und Verleger Georg Hirth (1841 – 1916) als französische Version der Münchner Kunstgewerbezeitschrift «Dekorative Kunst» gegründete Blatt hatte sich zum Ziel gesetzt, die zeitgenössische Kunstbewegung «mit einer kritischen Theorie zu versorgen, die Van de Velde und die eher funktionalen Designer unterstützt». Gemeinsam mit den Spielkarten wurde auch ein Wettbewerb für die Gestaltung eines Schreibtisches mit dazugehörigem Sessel, eines Briefkopfs sowie für fotografische Amateuraufnahmen eines Landhauses oder einer Hütte ausgeschrieben.
Die Teilnehmer des Spielkartenwettstreits hatten folgende Aufgabenstellung zu erfüllen: «Dessiner les douze figures plus une carte simple au format de 21 x 13 cm. Employer quatre couleurs, non compris le trait. Les envois doivent nous parvenir avant le 10 décembre 1898.»
Die ersten vier Gewinner sollten ein Preisgeld zwischen 50 und 500 Francs erhalten, zudem wurde die Erwähnung in einer der nächsten Ausgaben der Zeitschrift in Aussicht gestellt.
Vallotton griff bei der Wahl der Kartensymbole auf das französische Blatt zurück. Die vier Symbole Herz, Pik, Karo und Kreuz sind in klassischer Manier und gut erkennbar neben die einzelnen Figuren gesetzt. Bezüglich der vier geforderten Farben entschied er sich für Rot, Blau, Gelb und Grün. Die zwölf Karten lassen sich zu vier Dreiergruppen ordnen – pro Kartensymbol ein Set mit den Figuren Bube, Dame und König –, auf denen jeweils eine der Grundfarben vorherrschend ist. So dominieren als Kleiderfarben bei den Kartensymbolen Kreuz das Gelb, bei Karo das Grün, bei Pik das Rot und bei Herz das Blau. Um diese starre Farbzuweisung aufzubrechen, rahmte Vallotton die Karten jeweils mit ihren Komplementärfarben. Innerhalb dieser feinen Rahmung sind die doppelfigurigen Kartenwerte gekonnt gesetzt.
Sowohl die Komposition als auch die Charakterisierung der Figuren zeugen vom Witz und Scharfsinn Vallottons. So agieren griesgrämig dreinblickende Diener als Buben, etwa einen Nachttopf haltend oder geduldig die nächsten Anweisungen einer erlauchten Herrschaft erwartend. Die Königinnen, lebensfreudige Damen in bestem Alter, präsentieren die verschiedensten Frisuren und Kleidermoden. Im Gegensatz hierzu kontrastieren ihre männlichen Pendants; als verkniffen dreinblickende, mit Orden behangene Vertreter der bürgerlichen Oberschicht erwecken sie nicht den glücklichsten Eindruck.
Ob Vallotton die in der Ausschreibung geforderte dreizehnte «carte simple» je eingereicht hat, ist nicht überliefert, aber wahrscheinlich. Denn gemäss dem Entscheid der Wettbewerbsjury wurde ihm der mit 100 Francs dotierte 2. Preis zuerkannt. Den Sieg errang der französische Künstler Gustave-Henri Jossot (1866 – 1951) mit einem ebenfalls satirischen Beitrag.
Die prämierten vier Kartenspiele wurden in der nächsten Ausgabe der «L’Art décoratif» publiziert. Auch die deutsche Zeitschrift «Dekorative Kunst» widmete dem Wettbewerb einen kurzen Beitrag: «Das [Sieger-]Spiel zeigt alle Vorzüge der eigenartigen, ornamentalen Karikatur Jossot’s. […] Vallotton’s Spiel ist vielleicht weniger dekorativ, aber nicht weniger witzig und originell. Es schliesst sich seinen berühmten Schwarz-Weiss-Holzschnitten würdig an. Es ist interessant, wie beide Künstler die ihnen nahe liegenden Typen verwandt haben.»
Die Spielkartenentwürfe dokumentieren Vallottons Interesse und seine Fähigkeiten im Bereich der angewandten Künste. Wie ein Blick auf sein malerisches und druckgrafisches Œuvre nahelegt, faszinierte ihn das Spiel mit den Karten, sei es Poker oder Solitäre.
Die zwölf Spielkarten, von der Forschung bestens dokumentiert und seit 1954 in unzähligen Ausstellungen zu bewundern, ergänzen die bereits in Besitz der Stiftung befindlichen vier Gemälde Felix Vallottons zu einer eindrücklichen Werkgruppe.
lic.phil. Daniel Grütter
Kurator Kulturgeschichte, Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
Hier finden Sie die ausführliche Beschreibung dieser Neuerwerbungen aus dem Jahresbericht 2023/2024.
Fotos: Ivan Ivic, Ivic Werbeagentur, Neuhausen