Mit zwei Neuerwerbungen erweitert die Sturzenegger-Stiftung ihre Werkgruppe von Alexander Trippel (1744 – 1793).
Alexander Trippel zugeschrieben, Sitzender Herkules (Herkules Epitrapezios), 1772 (?).
Terrakotta, 24 x 13 x 31 cm, Inv. P481,
Foto: Ivan Ivic
Als Schaffhauser Bildhauer des Klassizismus war Alexander Trippel hoch anerkannt. An der bedeutenden Kopenhagener Kunstakademie in der Bildhauerei ausgebildet, reiste er 1776 nach Rom, wo er sehr erfolgreich wurde. Er porträtierte Adlige, unter anderem Johann Wolfgang von Goethe, dessen Gipsbüste aus dem Jahr 1790 sich in der Sammlung des Museums zu Allerheiligen befindet.
Der Schaffhauser Trippel-Bestand umfasst die grösste institutionelle Werkgruppe dieses Künstlers; zweifelsfrei ihm zugeschrieben sind 67 Arbeiten, davon 15 Skulpturen und Plastiken sowie 55 Zeichnungen. Bereits der hiesige Kunstverein setzte sich Ende des 19. Jahrhunderts erfolgreich für den Erwerb von Werken dieses bedeutenden Künstlers ein. Mit deren Schenkung an die Stadt im Jahr 1937 gelangten die Arbeiten in den Besitz des städtischen Museums. Vereinspräsident Carl Heinrich Vogler veröffentlichte schon 1892/93 nach tiefreichenden Recherchen einen umfassenden Aufsatz des damals weitgehend vergessenen Künstlers und veröffentlichte ein Album mit Fotos seines Œuvres, die er in ganz Europa und bis nach Moskau bestellte.
Büste Elisabeth Mechel-Haas (1740 – 1786), 1776
Es kommt einer Sensation gleich, dass die bisher gänzlich unbekannte Büste der Elisabeth Mechel-Haas nun in Paris auftauchte und für Schaffhausen erworben werden konnte. Die rückseitige Signatur und Datierung «A. Trippel fecit / Bale / 1776» belegt die Authentizität der Arbeit. Ihre Identifikation mit der Basler Gemahlin des erfolgreichen Kupferstechers und Verlegers Christian Mechel (1737 – 1817) gelang dem Trippel-Spezialisten Dieter Ulrich, Zürich.
Alexander Trippel, Büste Elisabeth Mechel-Haas (1740 – 1786), 1776.
Terrakotta, gebrannt, 52 x 43 x 26 cm, Inv. P484, Foto: Ivan Ivic
1776 begab sich Alexander Trippel auf eine Schweiz-Reise, um Gelder für seine geplante Romreise zu akquirieren. Dabei wollte er den Ständen Schaffhausen, Zürich, Bern und Basel seinen «Ruhenden Herkules als Allegorie auf die Schweiz» anpreisen. Der Verkauf der vier Abgüsse gelang, wenn auch heute nur noch der Schaffhauser Herkules erhalten geblieben ist. In Basel fand er in Christian Mechel (1737 – 1817) einen wertvollen Unterstützer. Dieser hatte die Reise angeregt, mit der Trippel im Land bekannter werden sollte. Der Bildhauer erhielt auf seiner Tour von verschiedenen Prominenten in den Städten Aufträge für Büsten und kleinere Figuren.
Im April 1776 beauftragte Christian Mechel Trippel mit Porträts von ihm und seiner Frau. In einem Brief vom 6. November 1776 an Johann Jakob Peyer in Schaffhausen, den er bereits in Rom verfasste, erwähnt er den Auftrag. Offenbar waren die Büsten zu diesem Zeitpunkt noch nicht bezahlt: «Darnach zwey Pusten von Erden Lebens gröse, der h. von Mechel und seine Frauliebste (…).» Der Ausdruck «Erden» meint hier die Technik der Terrakotta.
Reste einer Bemalung lassen annehmen, dass Elisabeth Mechel-Haas einst über die rein plastische Ausformung hinaus ausgesprochen lebensecht wiedergegeben war. Besonders der Faltenwurf, der etwas schiefe, leicht geöffnete Mund ebenso wie die hoch aufgetürmte, modische Frisur, ein sogenannter «Pouf», heben seinen Willen zu naturgetreuer Darstellung hervor. Besonders der Pouf, am Hof von Königin Marie-Antoinette (1755 – 1793) in Versailles entwickelt, verdeutlicht dies. Obschon kaum zur Ansicht bestimmt, hat er selbst die Rückseite der Frisur sorgfältig wiedergegeben. So ist das oft mit einem Drahtgeflecht oder auch einem Kissen kunstvoll in die Höhe getrimmte und gekrauste Haar mit darin steckendem Kamm ausgearbeitet. Löcher an der Oberseite der Konstruktion lassen darauf spekulieren, dass sogar Zierelemente wie Federn, Blumen oder Schleifen hätten angebracht werden können, was typisch für diese höfische Frisur war.
Dieser naturalistische Stil verweist auf die kurze Werkphase zwischen dem Ende von Trippels Ausbildung in Kopenhagen 1771 und der Entwicklung seines klassischen Stils nach seiner Ankunft in Rom in den Jahren nach 1776. In ihrer Qualität steht die Büste von Elisabeth Mechel-Haas in enger Verbindung mit der so genannten «Tante Trippel», vermutlich ein Porträt von Trippels Tante Barbara Maria Peyer-Trippel (1732/33 – 1815), die er ebenfalls 1776 geschaffen hat. Diese Büste gehört zu den herausragenden Werken dieser Werkphase und zu den Kostbarkeiten der Kunstsammlung des Museums zu Allerheiligen.
Alexander Trippel, Tante Trippel, vermutlich
Barbara Maria Peyer-Trippel (1732/33 – 1815), 1776.
Terrakotta, kalt bemalt, 43 x 33.5 x 25 cm,
Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, Inv. P244, Foto: Jürg Fausch, 372 dpi GmbH
Sitzender Herkules (Epitrapezios), 1772 (?)
Alexander Trippel zugeschrieben, Sitzender Herkules (Herkules Epitrapezios), 1772 (?).
Terrakotta, 24 x 13 x 31 cm, Inv. P481,
Foto: Ivan Ivic
Die neu erworbene Terrakotta eines sitzenden Herkules, die Alexander Trippel zugeschrieben wird, ist weder signiert noch datiert. Sie erinnert an dessen «Ruhenden Herkules als Allegorie auf die Schweiz» von 1775 in der Sammlung des Museums zu Allerheiligen. Um sich eine Romreise zu finanzieren, stellte Trippel vier Abgüsse her, die er nach Schaffhausen, Basel, Zürich und Bern sandte und erfolgreich verkaufen konnte. 1776 ging er nach Rom, wo er bis zu seinem Tod blieb.
Alexander Trippel, Ruhender Herkules als Allegorie auf die Schweiz, 1775.
Gips, 67 x 85 x 54.3 cm, Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, Inv. P119
Foto: Ivan Ivic
Abgesehen von den für den antiken Helden typischen Attributen wie Löwenfell und Keule weist bei der Terrakotta nichts auf den allegorischen Schweizer Herkules hin. Dennoch scheinen Details miteinander verwandt zu sein, so etwa die markante Nase und der leicht geöffnete Mund, das lockige Haar und der Bart, die Modellierung der Muskeln, ebenso die Beinstellung. Zieht man den Gipsabguss des «Milon von Kroton» im Museum zu Allerheiligen hinzu, so erscheint die Disposition der Körper und ihrer Glieder, die Ausgestaltung der Muskeln und der Ausdruck der Gesichter einander auch hier ähnlich und eine Zuschreibung des «Sitzenden Herkules» an Alexander Trippel nicht abwegig.
Alexander Trippel, Milon von Kroton, vom Löwen angefallen, 1784.
Gipsabguss, 33 x 26 x 20 cm, Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, Inv. P253
Foto: Ivan Ivic
Das Motiv des sitzenden Herkules kommt in der bildenden Kunst häufig vor. Wiederholt findet man es in der Ikonografie des sinnenden Herkules am Scheideweg, wo dieser wie die Terrakotta-Figur oft einen Lorbeerkranz trägt. Ein weiteres Beispiel ist der sogenannte «Herkules Epitrapezios», übersetzt «Herkules des Tisches». Der Name geht auf eine Bronze des griechischen Bildhauers Lysippos (tätig im 4. Jh. v. Chr.) zurück, der den Helden mit einem Gefäss in der Hand sitzend dargestellt habe. Die römischen Dichter Publius Papinius Statius (um 40 – um 96) und Marcus Valerius Martialis (40 – 103/104) überliefern, die Figur habe Alexander dem Grossen gehört, der sie so hochschätzte, dass er sie bei Gelagen auf den Tisch stellte.
Aus der römischen Antike sind mehrere Plastiken und Skulpturen des «Herkules Epitrapezios» überliefert, unter anderem im Cleveland Museum of Art und im Fuji Art Museum in Tokio. Die beiden Marmorfiguren zeigen Herkules auf einem Stein sitzend, der in Cleveland wie bei der neuen Schaffhauser Terrakotta mit dem Fell des nemeischen Löwen drapiert ist. Die Variante in Tokio zeigt ihrerseits eine starke Übereinstimmung mit dem Trippel zugeschriebenen Herkules. Es ist insbesondere die generelle Disposition der Körper und ihrer Extremitäten, die eine starke Verwandtschaft aufweisen.
Römisch, Herkules Epitrapezios,
1./2. Jh. n. Chr.
Marmor, 53 x 21.3 x 26.8 cm, Fuji Art
Museum Tokio, Inv. 1940
Der Archäologe Frédéric de Clarac (1777 – 1847) verwies im fünften Band seines 1851 posthum erschienenen, monumentalen Werkes «Musée de sculpture antique et moderne» auf eine Gipskopie im Louvre, die von einem antiken Original in Rom abgegossen worden sei. Er bildete ihn in einer Umrisszeichnung des bereits 1839 – 1841 erschienenen Bildbandes seines «Musée» ab. 1885 veröffentlichte der Archäologe Félix Ravaisson (1813 – 1900) eine Fotografie ebendieses Abgusses. Er hatte ihn in der École des Beaux-Arts in Paris wiederentdeckt. Seither ist die Gipskopie verschollen.
Unbekannt, Herkules Epitrapezios, Fotografie
In: Ravaisson, Félix: L’Hercule EΠΙΤΡAΠΕΖΙΟΣ de Lysippe, in: Gazette archéologique. Receuil des Monuments 10 (1/2), 1885, Tafel 7.
Der Pariser Abguss dürfte von der antiken Marmorskulptur in Tokio stammen, wie nach deren Entdeckung in Genfer Privatbesitz 1989 festgestellt wurde. Gips und Original haben ungefähr die gleiche Höhe. Zwar erkennt man in der Rechten des Abgusses die drei goldenen Äpfel der Hesperiden; dies dürfte aber eine Interpretation des Restaurators sein, der die abgebrochene Hand des Originals ergänzt hat.
Dass Trippel das antike Original gesehen haben könnte, ist denkbar – vielleicht in Rom, wo es de Clarac vermutet hat. Naheliegender scheint, dass er den Gipsabguss des «Herkules Epitrapezios» in Paris entdeckt hat, als er 1772 dort lebte. Betrachtet man den «Ruhenden Herkules als Allegorie auf die Schweiz» aus dieser Perspektive, findet man verschiedene Übereinstimmungen. So ist sowohl die Ausrichtung des Torsos als auch die Lage des linken Arms ähnlich, ebenso die Haltung der Beine bis hin zu den Füssen. Auf vergleichbare Art umfasst die Hand des Schweizer Herkules das Löwenfell wie der Herkules des Gipsabgusses seine Keule.
Bei aller Ähnlichkeit könnte die Zuschreibung der Terrakotta an Trippel gerade in den Abweichungen zwischen dem «Ruhenden Herkules», dem neuen Schaffhauser «Herkules Epitrapezios» und dem Pariser Abguss aufscheinen. Sie mögen auf die künstlerische Kreativität hinweisen, die nicht stur kopiert, sondern sich inspirieren lässt und ausprobiert, wohin der beste Weg zur Umsetzung eines Motivs führt. Vielleicht fand Alexander Trippel in der Bearbeitung des «Herkules Epitrapezios» die Inspiration, die ihn schliesslich zur Komposition des «Ruhenden Herkules» geführt hat.
Dr. Andreas Rüfenacht
Kurator Kunst, Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
Hier finden Sie die ausführliche Beschreibung dieser Neuerwerbungen aus dem Jahresbericht 2023/2024.