Neuerwerbung

Die Gebäckmodelsammlung Widmer, 416 Model aus dem 16. bis zum 20. Jahrhundert

Impression Gebäckmodelsammlung Widmer, Ton, gepresst, Holz, beschnitzt, Metall

Die Gebäckmodelsammlung von Hans-Peter Widmer (*1937) zählte zu den bedeutendsten sich noch in Privatbesitz befindlichen Sammlungen in der Schweiz. Sowohl die Ton- als auch die Holzmodel stammen mehrheitlich aus Schaffhausen und der Nordostschweiz. Die mit grosser Kennerschaft zusammengetragene Sammlung ist von immenser kulturhistorischer Bedeutung. Einige der Model waren bereits mehrfach im In- und Ausland ausgestellt und sind durch Publikationen bestens wissenschaftlich erschlossen. Es ist dem unermüdlichen Sammler und Forscher Hans-Peter Widmer hoch anzurechnen, dass er seine Sammlung nicht dem Kunsthandel übergab, sondern bereit war, diese direkt an die Sturzenegger-Stiftung zu veräussern. So verbleiben seine Model nun gesamthaft in Schaffhausen und stehen auch weiterhin für Ausstellungen und Forschungen zur Verfügung. Mit dem Erwerb dieser 416 Gebäckmodel erhielt das Museum einen äusserst bedeutenden Zuwachs. Innerhalb des Fachbereichs Kulturgeschichte bilden Holz- und Tonmodel einen Sammlungs- und Forschungsschwerpunkt.

Der ausgebildete Wasserbauingenieur Hans-Peter Widmer übersiedelte 1977 nach Schaffhausen, wo er bis April 1990 zusammen mit seiner Frau Gilda als Heimleiter der Stiftung Ungarbühl tätig war. Danach arbeitete er bis zu seiner Pensionierung Ende 2001 als Gewässerschutzinspektor beim «Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft» des Kantons Zürich (AWEL). Widmer bildete sich zeitlebens in Kunstgeschichte, Geschichte und Volkskunde weiter. Dank seines Wissens inventarisierte er unter anderem die Gebäckmodel im Museum Aargau (Schloss Lenzburg) und wirkte als Verfasser von Publikationen sowie als Initiator und fachlicher Berater für Modelausstellungen in der Schweiz und Süddeutschland. Begonnen hatte Hans-Peter Widmer seine Sammeltätigkeit 1965.

Gebäckmodel sind Erzeugnisse eines florierenden und hochstehenden Handwerks, welche auch in Schaffhausen zur repräsentativen Haushaltsausstattung gehörten. Ihre qualitätsvolle Ausführung verrät die Hand erfahrener Formschneider. Die Darstellungen auf den Modeln bezeugen die grosse Motivvielfalt, die einst auf Backwerk Verwendung fand.

Das Holz für die Model muss eine feste und dichte Struktur besitzen. Es darf für die Bearbeitung weder zu hart noch im Hinblick auf die spätere Beanspruchung durch Druck, Schläge und Feuchtigkeit zu weich sein. So liefern Obsthölzer das beste Rohmaterial, vornehmlich Birnen-, Pflaumen-, Kirsch- und Apfelbäume, aber auch das Holz von Ahorn- und Nussbäumen fand Verwendung.

Im Folgenden werden einige Model von Hans-Peter Widmer vorgestellt, die exemplarisch die thematische Vielfalt der verwendeten Motive sowie die künstlerischen und technischen Fähigkeiten der Formschneider aufleuchten lassen.

Die stehende Frauengestalt eines runden Holzmodels gibt sich mit den Attributen Waage und Schwert sowie mit ihrem auf die Weltkugel gesetzten Fuss als Personifikation der Gerechtigkeit zu erkennen. Drei der auf die Rückseite gesetzten Brandmarken lassen sich dem Schaffhauser Geschlecht der von Waldkirch zuweisen. Die oberste Brandmarke lässt sich mit Hans Conrad von Waldkirch (1626 – 1688) in Verbindung bringen, der 1643 Kleophea von Waldkirch (1627 – ?) heiratete und das mit Fresken von Tobias Stimmer verzierte Haus zum Ritter bewohnte. Anlass für den Erwerb des Models könnte seine Wahl zum Stadtrichter gewesen sein.

Der in Schaffhausen angefertigte und aus dem Besitz der Schaffhauser Familie Murbach stammende Model zeigt drei Lachse. Das die Fische umgebende Wasser ist durch senkrechte Kerben wiedergegeben, womit möglicherweise der Rheinfall angedeutet ist. Die Lachse waren nicht in der Lage, dieses Hindernis zu überwinden und kreisten daher scharenweise im Rheinfallbecken. Für grosse Teile der Bevölkerung waren Fische wichtige Nahrungsmittel. Sie deckten ihren Proteinbedarf vorwiegend mit den im Frühjahr und Spätherbst in grosser Zahl eintreffenden Lachsen.

Zu den herausragenden Leistungen der Holzschnitzer gehören heraldische Kompositionen. Sie berühren sich am Rande mit der grossen Tradition eidgenössischer Wappenschenkungen, die hierzulande im 15. und 16. Jahrhundert gepflegt wurde. Die meisten Wappenmodel sind Unikate, weil sie als zweckgebundene Arbeiten für eine bestimmte Person, Familie oder Körperschaft in Auftrag gegeben wurden. Der Model zeigt das Familienwappen Wegmann, eine Pflugschar über einem Dreiberg, überhöht von einem Zieheisen, umgeben von einem Kranz aus Ranken, Blumen und Früchten. Das Zieheisen verweist auf den Beruf des Gerbers, die Initialen «RW» neben der Helmzier auf Rudolf Wegmann. Dessen Vater Hans Rudolf Wegmann (1542 – 1611) war 1586 Zunftmeister der Zürcher Gerber geworden und übte gewichtige politische Ämter aus. Von Rudolf Wegmann sind einzig das Datum seiner Hochzeit (1597) sowie sein Beruf (Gerber) überliefert. Die rückseitig mit Tinte aufgetragene Beschriftung «PN 1882» bezieht sich auf die spätere Besitzerfamilie Peyer-Neher in Schaffhausen.

Das doppelseitig beschnitzte Model zeigt auf derVorderseite den schwedischen König Gustav II. Adolf (1594 – 1632) zu Pferd. Sein Wappen findet sich unter den Vorderhufen seines galoppierenden Pferdes. Der Protestant Gustav II. Adolf war im Dreissigjährigen Krieg (1618 – 1648) Gegenspieler der katholischen Allianz und in protestantischen Kreisen der Schweiz als Kämpfer für die Gerechtigkeit hochgeachtet. Die Modelrückseite zeigt vermutlich seinen Feldherrn Gustaf Karlsson Horn (1592 – 1640), der nach Gustav Adolfs Tod Oberbefehlshaber der schwedischen Truppen wurde. Die Initialen «SL» unter dem rechten Bein seines Pferdes sind nicht zu entschlüsseln.

Besonderer Beliebtheit erfreuten sich vor allem im 16. und 17. Jahrhundert religiöse Darstellungen. Die Bibel bot den Schnitzern eine Fülle von Anregungen, etwa zur Wiedergabe des Stammbaums Christi. So ziert die Wurzel Jesse ein hölzerner Rundmodel, dessen rückseitige Brandstempel vorderhand ungedeutet bleiben müssen. Der Lebensbaum wächst aus der Figur des schlafenden Jesses, in den Zweigen erscheinen David mit der Harfe sowie vier weitere Könige von Israel und Juda. Zuoberst thront die Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind. Aus dem Alten Testament wurden vorzugsweise dramatische Ereignisse wie der Sündenfall mit der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies, die Opferung Isaaks oder das salomonische Urteil zum beliebten Sujet. Das Neue Testament lieferte Geschichten aus dem Leben Jesu.

Die Brandmarken auf der Rückseite eines Models mit der Abbildung eines Hirsches verweisen auf dessen einstigen Besitzer, den Zürcher Ratsherrn Hans Heinrich Hess (1644 – 1704). Das Motiv des springenden Hirsches mit Lichtern im Geweih nimmt in zürcherischem Kontext Bezug auf die Gründungslegende des Fraumünsterklosters. Gemäss dieser Überlieferung soll ein weisser Hirsch mit Lichtern im Geweih den beiden auf Burg Baldern lebenden Töchtern des ostfränkischen Königs Ludwig des Deutschen, Hildegard und Berta, jeweils den Weg durch den dunklen Wald zum Gebet in der Kapelle der Heiligen Felix und Regula gewiesen haben. Der Hirsch führte sie später auch an jene Stelle, an der ihr Vater im Jahre 853 die Benediktinerinnenabtei Fraumünster gründen sollte.

lic. phil. Daniel Grütter
Kurator Kulturgeschichte, Museum zu Allerheilige
Schaffhausen

Hier finden Sie die Beschreibung dieser Neuerwerbungen im Jahresbericht 2023/2024.